coming home
Vielleicht kennen Sie dieses Gefühl, wenn für einen Moment in Ihnen alles ganz friedlich ist, Sie sich in und mit sich selbst ganz zuhause und geborgen fühlen. Im Rahmen der Psychotherapie habe ich dafür den Begriff „coming home“ bei Eugene Gendlin, dem Erfinder der Focusing entdeckt. Man könnte es im erweiterten Sinn auch mit dem Moment, den Daniel Stern als Gegenwartsmoment beschreibt, vergleichen. Oder in übergeordneter, ganzheitlicher und spiritueller Sicht mit den von Karlfried Graf Dürckheim oder Paul Tillich als Seins-Momenten bezeichneten Erfahrungen.
Diese Beschreibungen weisen darauf hin, das coming home in diesem Zusammenhang mehr meint als ein sich wohlfühlen. Coming home bedeutet hier ein ganz bei uns Selbst ankommen. Und es ist noch mehr, indem wir unsere Aufmerksamkeit nach innen und zu unserem Körper richten, auf unser inneres Lauschen und ohne Bewertung wahrnehmen was in uns jetzt ist, sind wir durch dieses nach innen Spüren in diesen Momenten gleichzeitig ganz bei uns selbst.
Mit dieser achtsamen nach innen gerichteten Aufmerksamkeit sind wir -wie von selbst – mit uns Selbst in Verbindung. Aus diesem mit unserem inneren Selbst verbunden sein, ergibt sich – wie von selbst – ein Verbunden Sein mit der Welt um uns herum.
Manchmal können wir es dann "live" erleben, ein Gefühl tief innen in uns, dass sich ausbreitet, wenn wir es wahrnehmen und wie von innen heraus zu uns spricht: Alles ist gut, wenn ich bei mir selbst bleibe. Auch wenn da draußen, oder gar an meinem organischen Körper Beschwerden bestehen, das Wichtigste ist mit mir Selbst verbunden zu sein. Wir können wie es dann auch mit einem Gefühl eines tiefen inneren Friedens vergleichen.
Aber was verbirgt sich hinter diesem „Selbst“ und was verstehe ich unter einem bei sich Selbst Sein? Ist es nicht purer Egoismus und letztlich das Gegenteil von verbunden sein?
Mit diesen Fragen sind wir am Kern dessen, was Psychotherapie, ärztliche Begleitung, Philosophie und Seelsorge in der Tiefe miteinander verbindet. Gleichzeitig ist die Einstellung zu diesen Fragen entscheidet für die Werte und Richtung der psychotherapeutischen Begleitung.
Unter dem Selbst auch als Kernselbst oder Wesenskern können wir das zusammenfassen was uns im Inneren als individuelle Person ausmacht und uns zu dem einzigartigen Menschen macht der wir sind.
Die Vorstellung dabei ist, dass es in uns etwas gibt, das uns aus ganz individuell ausmacht, gleichzeitig aber auch mit der ganzen Welt verbunden ist. Goethe würde vielleicht sagen: Der göttliche Lebensfunke der uns mit unserer Entstehung, in dem Moment, indem sich Eizelle und Spermium verbinden, geschenkt wird. Aus dieser Verbindung entsteht unser Wesenskern der immer in uns als unsere ganz persönliche individuelle Anlage bestehen bleibt.
Gleichzeitig ist dieses Kernselbst über den „göttlichen Lebensfunken“ oder wie wir das Lebendige in uns bezeichnen möchten, mit dem ganzen anderen Leben auf dieser Welt verbunden. Wie Pflanzen und Bäume teilen wir die gleiche Erde, atmen die gleiche Luft und leben von der gleichen Sonne. Wenn wir die Verbindung zu unserem inneren Selbst verloren haben, haben wir die Verbindung zum Lebendigen in uns und zur Welt verloren. Doch tief in uns gibt es diesen göttlichen Lebensfunken noch, egal wir schwierig alles war. Therapie sollte helfen das Lebendige in uns wieder zu entdecken und wieder mit uns und der Welt in Verbindung zu sein.
Leider ist diese tiefe Verbindung zu unserem inneren Selbst durch widrige Umstände, Verluste, Trauma oder fehlende Unterstützung durch unsere frühen Bezugspersonen oft verstellt oder nicht gut ausgebildet. Manchmal waren Lebenserfahrungen so bedrohlich und der damit verbundene Schmerz, die Angst oder Hilflosigkeit, so groß, dass Sie zu diesem Zeitpunkt unseres Seins nicht von zu ertragen waren. Um das Überleben unseres inneren Selbst zu ermöglichen, musste unserer Nervensystem diese bedrohlichen Erlebnisse abkapseln und ins Unbewusste verschieben. Da unser Gehirn die komplexen Situationen als Ganzes verschiebt, wird alles, was mit diesen Situationen zusammenhängt verschoben und gleichzeitig markiert. Mit dieser Markierung entsteht eine innere Sensibilität für ähnliche Situationen. So werden wir sensibilisiert und unser Nervensystem schützt sich vor neuen Gefahren und Verletzungen. Dies kann erklären, warum wir uns in manchen Situationen, oder mit manchen Menschen scheinbar grundlos unwohlfühlen. Möglicherweise gibt es einzelne Anteile in dieser Situation, dies kann auch nur der Ton einer Stimme, eine bestimmte Ausstrahlung oder Atmosphäre, ein Geruch oder eine Stimmung sein, die in unseren Unbewussten diese Sensibilisierung aktiviert.
Oder wir konnten nie lernen mit uns Selbst in Verbindung zu sein, weil niemand es uns vermittelt oder vorgelebt hat. So konnten wir kein ausreichendes Gespür von unserem inneren Selbst entwickeln.
Nach meinem psychotherapeutischen Verständnis werden viele unserer Schwierigkeiten, Probleme, Sorgen und Ängste davon genährt, dass wir mit uns Selbst nicht oder zu wenig in Verbindung sind. Besonders deutlich spüren wir diese Entfremdung von unserem eigenen Selbst in der Depression, hier sind die Gefühle von Einsamkeit, Verlassenheit und eben dieses nicht verbunden sein - mit sich selbst und der Welt - offensichtlich und machen die Depression dadurch zu einer so beeinträchtigenden Störung. Coming home heißt, diesen Zugang zu unserem Selbst wieder zu entdecken, mit uns selbst und damit auch der Welt wieder in Verbindung zu kommen.
In systemischen Aufstellungen sind die Momente des coming home besonders deutlich zu spüren. Je mehr wir uns diesen Momenten nähren, desto ruhiger wird es in der Aufstellung. Dann, wenn der Moment auftaucht, kann manchmal die darin noch abgekapselte Emotion hervortreten und eine tiefe innere Spannung löst sich auf. Der Klient ist auf einmal ganz bei sich, spürt seine Emotionen von damals und spürt gleichzeitig sich selbst heute hier von der Belastung befreit. Selbst tiefe Traurigkeit, Enttäuschung oder Verletzung können in diesem Moment wie transformiert werden und unser Selbst wird wie neu geboren.
Endlich sind wir frei ganz bei uns selbst zu sein. Dann entsteht, wie von selbst, ein Einverständnis mit dem, was war, ein „Ja, so war es“, "Es war so schwer, aber es ist vorbei", jetzt bin ich hier und lebe, ein „Amen“ und gleichzeitig ein tiefer innerer Frieden.
Wär nicht das Auge sonnenhaft
Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
wie könnt uns Göttliches entzücken?
J.W. Goethe
Wer die Musik der Seele hört,
beherrscht die Melodie des Lebens
Swami Sivananda